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Robert Elsie

Texte und Dokumente zur albanischen Geschichte

   
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Delegierte des Kongresses von Triest (Foto: Marubbi).



Delegierte des Kongresses von Triest
(Foto: Marubbi).

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1913
Franz Baron Nopcsa:
Der Albaner-Kongress von Triest

Als Sohn einer ungarischen Adelsfamilie wurde Franz Baron Nopcsa von Felsőszilvás (1877-1933) auf dem elterlichen Gut Szacsal bei Hatzeg in Siebenbürgen geboren. Durch Vermittlung seines Oheims und Taufpaten, Franz von Nopcsa (1815-1904), Oberhofmeister bei Kaiserin Elisabeth, konnte Nopcsa seine Matura am Maria-Theresianum in Wien ablegen. Er entwickelte sich selbst schnell zu einem begabten Forscher. In späteren Jahren wurde er zu einem der führenden Albanienforscher seiner Zeit.

Nopcsas albanologische Veröffentlichungen aus den Jahren zwischen 1907 und 1932 umreißen in erster Linie folgende Gebiete: Vor- und Frühgeschichte, Ethnologie, Geographie und Neuere Geschichte sowie das albanische Gewohnheitsrecht, d. h. den “Kanun.” Seine Publikationsliste umfasst insgesamt über 186 Titel, hauptsächlich aus den drei oben genannten Bereichen der Paläontologie, Geologie und Albanienforschung. Aus letzterem Bereich stammt auch seine fünfteilige posthum (2001) veröffentlichten Lebenserinnerungen “Reisen in den Balkan”, aus dem dieser Ausschnitt entnommen wurde.

Der Kongress von Triest, albanisch “Kongresi i Triestit” wurde im Frühjahr 1913 - nach der Ausrufung der albanischen Unabhängigkeit am 28. November 1912 - veranstaltet, um Solidarität zu bekunden und um die Lage der Nation zu erörtern. An dieser Veranstaltung nahmen ca. 150 Vertreter aus Albanien, Rumänien, Bulgarien, Italien, Ägypten, der Türkei und den Vereinigten Staaten teil. Der Kongress erkannte die von Ismail Qemal bej Vlora gebildete provisorische Regierung an und diskutierte über die verschiedenen Kandidaten für den neu geschaffenen albanischen Thron, darunter Ferdinand François Bourbon Orléans-Montpensier aus Frankreich, Albert Ghika aus Rumänien, Urach Graf von Württemberg, der ägyptische Prinz Ahmed Fuad und Juan Aladro Castriota, Sohn des Marchese Castriota aus Neapel. Der Kongress wurde von Österreich-Ungarn gefördert, um k.u.k-Einfluss auf die Thronwahl zu sichern.

Juan Aladro Castriota, Kandidat für den albanischen Thron. Ansichtskarte 1913.

Juan Aladro Castriota, Kandidat für den albanischen Thron. Ansichtskarte 1913.



Juan Aladro Castriota, Kandidat für
den albanischen Thron.
Ansichtskarte 1913.

Noch vor diesem Rücktritte war ich vom 27. Februar bis 6. März beim Albaner-Kongreß in Triest gewesen. Dieser Albanerkongreß war eine merkwürdige Sache. Im Frühjahr 1913 war der albanische Thron noch vakant, und die Leitung der albanischen Angelegenheiten lag in den Händen Ismail Qemalis, der zuerst in Budapest bei Exzellenz Hadik Janos mit Berchtold zusammen gekommen und dann im Auftrage und mit der Unterstützung Berchtolds nach Vlora gefahren war, wo er zuerst die Provisorische Regierung des neugegründeten Albaniens ins Leben gerufen hatte, hierauf aber als langjähriger Freund Griechenlands und als dessen bezahlter Agent diesem, für den Fall, daß er Chef Albaniens bleiben würde, die Einnahme Janinas zu erleichtern versprochen hatte. Daß Ismail Qemali Chef einer provisorischen Regierung bleiben wollte, schien, da so etwas oft viel Geld einbringt, selbstverständlich. Weniger selbstverständlich war aber, daß sich Berchtold, wie aus seinem Tête-à-tête mit Ismail Qemali ersichtlich, die Fähigkeit zugetraut hatte, Ismail Qemali zu überlisten. Natürlich ist ihm dies auch misslungen. Daß Ismail Qemali Albanien an Griechenland verraten würde, konnte ich, da mir Stead einiges im Jahre 1911 über das Verhältnis Ismail Qemalis zu Griechenland und jener Schriftsteller Ular, der zusammen mit Insabato das Buch der Erlöschende Halbmond geschrieben hatte, einiges über Ismails Benehmen als Gouverneur von Tripolis erzählt hatten, leicht voraussehen. Auf Berchtolds Frage, was ich von Ismail Qemali halte, sagte ich ihm übrigens schon zwei Wochen, nachdem Ismail die Provisorische Regierung gegründet hatte, Wort für Wort, “Ismail Qemali ist ein Schwein.” Der Verrat Ismail Qemalis an Albanien wurde mir später von Eqrem Bey Vlora, der der Sohn des albanischen Gesandten in Wien, Sureja Bey, und Neffe Ismail Qemalis war, voll inhaltlich bestätigt. Ob man in Griechenland Ismail Qemali gegenüber nach der Besetzung Janinas nach dem Rezept handeln wollte, ‘Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan; der Mohr kann gehen’, was mir wahrscheinlich erscheint, oder nicht, kann ich nicht entscheiden. Auf jeden Fall wurde aber, während der freilich nur mit großen Summen bestechliche Ismail Qemali in Vlora Chef der albanischen Provisorischen Regierung war, in Europa heftig für die verschiedenen albanischen Thronkandidaten agitiert.

Albert Ghika, der früher selbst albanischer Thronprätendent gewesen war, hatte es zu Wege gebracht, den Herzog von Montpensier für die Krone Albaniens zu interessieren. Er trat ihm seine bisherigen, freilich von niemandem anerkannten ‘Rechte’ ab und gegen eine entsprechende Renumeration agitierte er für diesen Herzog. Sehr leicht wurden für Montpensier der geizige Fazil Pascha Toptani und einige andere Albaner gewonnen, und so entstand denn der Plan, Montpensier durch einen Albanerkongreß zum Herrscher Albaniens ausrufen zu lassen. Inzwischen sollte Montpensier selbst die griechische Blockade brechen und sich in den Besitz Vloras und Ismail Qemalis setzen. Da man wegen Montpensiers Verwandtschaft den Widerstand der Monarchie fürchtete, so zeigte es sich als angezeigt, wenn der zu berufende Albanerkongreß von Österreich-Ungarn gefördert würde, und deshalb beschloß man, um ein schönes diplomatisches Kuckucksei zu legen, ihn in der Monarchie abzuhalten. Als Strohmann zum Berufen dieses Kongresses benützte man in ganz geschickter Weise den nichts ahnenden, gutmütig-dummen, aber naiv-strebsamen und am Ballhausplatze gut angeschriebenen Stefan Zurani, der aus Eitelkeit den Plan eines Albanerkongresses in Triest am Ballhausplatz als seine Idee ausgab. Da eine Demonstration der Albaner für ihr Vaterland auf österreichischem Boden dem Ballhausplatz recht war, so wurde dieser Plan angenommen und von Wien gefördert. Außer Albanern erschienen auf diesem Kongreß auch Italo-Albaner und mit ihnen auch der Marchese Castriota samt seinen Söhnen aus Neapel. Anwesend waren ferner Albert Ghika, dann der Czernowitzer Universitätsprofessor und Historiker Baron Dungern, ferner zwei christlichsoziale Abgeordnete Graf Taaffe und Herr Pantz von Wien, dann der römische Korrespondent der Reichspost, Cavaliere Mayerhöfer, und ich. Ich brachte noch Dr. L. Freundlich, einen ehemaligen sozialistischen Abgeordneten aus Wien, mit, der in dem Augenblicke, als Albanien modern wurde, mit großer Geschicklichkeit eine Albanische Korrespondenz gegründet hatte, und nun ‘imperialistische Eroberungspolitik machte’. Hassan Arnaut war als mein Privat-Detektiv gleichfalls in Triest. Die Presse war durch verschiedene Blätter vertreten, außerdem erschien in Triest ein Herr Jovo Weis aus Belgrad, der angeblich den Albanern Gewehre zum Preis von 90 Kr. per Stück verkaufen wollte, in Wirklichkeit aber ein serbischer Agent war.

Der Vertreter der österreichischen Regierung war Regierungsrat Makavetz, ein kluger, ruhiger, energischer Kopf, den man nicht leicht außer Fassung brachte. Nach einem Begrüßungsabend wurden am folgenden Tag Marchese Castriota zum Ehrenpräsident und Faik Bey Konitza zum Kongreßpräsidenten gewählt, ferner Hilë Mosi, Fazil Toptani und Derwisch Hima in das Präsidium berufen. Die Wahl Konitzas war nicht nach dem Plane Ghikas, denn als dieser plötzlich die Frage der Thronkandidatur auf das Tapet bringen wollte, da wurde er von Faik, seinem alten Gegner, geschickt daran gehindert. In geschickter Weise hatte sich übrigens Ghika, der wie mancher Rumäne eine Hochstaplerkarriere hinter sich hatte, um einen Trumpf in der Hand zu haben, in den Besitz des einen geistig minderwertigen Sohnes Ismail Qemalis gesetzt. Er war schon vor dem Kongreß nach Nizza gefahren, wo die Familie Qemalis, da Qemali selbst blockiert war, in schlechten Geldverhältnissen lebte, und hatte den Sohn Tahir auf eigene Kosten, das heißt ganz genau gesagt auf Kosten Montpensiers, zum Albanerkongreß nach Triest gebracht. Da Tahir keinen Kreuzer in der Tasche hatte, weshalb ihm alles, ja sogar die Zigaretten, von Ghika gekauft wurden, Tahir also ohne Ghika oder dessen Stellvertreter keinen Schritt bewegen konnte, war Tahir eigentlich Ghikas Gefangener. Was Ghika mit Tahir bezweckte, wurde erst später sichtbar. Die äußere Form des Kongresses war folgende: Rechts von dem auf einer mit der albanischen Fahne geschmückten Estrade befindlichen Tische des Präsidiums war ein Tisch für die ‘Presse’, links ein Tisch für die Gäste. Da das Präsidiumsmitglied Derwisch Hima, das je nach Bedarf in Europa Freimaurer, in der Türkei jedoch fanatischer Muselmann war, mit der Neuen Freien Presse gute Beziehungen hatte, ich aber wollte, daß die Presseberichte durch meine Hände gingen, so setzte ich es durch, daß mit der offiziellen Kongreßberichterstattung als einzige die Albanische Korrespondenz betraut wurde. Dies kränkte nun die gleichfalls anwesende ‘politische Korrespondenz’ dermaßen, daß sie sich beschwerte, doch wurde ihr infolge meiner Intervention von Wien aus mitgeteilt, sich zu fügen. Infolge dieses Schachzuges konnte Derwisch Hima die Neue Freie Presse nur mehr in dem Sinne informieren, wie es der weil in albanischen Sachen unerfahrene, daher auf mich angewiesene Herr Freundlich tat. Um Freundlichs Vorzugsstellung zu markieren, setzte man vor allen Journalisten bloß ihn an den Tisch der Gäste. Die Entfaltung der albanischen Flagge wurde natürlich stehend und mit Jubel begrüßt, und der Kongreß entsandte natürlich gleich bei der Eröffnung je ein gleichlautendes Begrüßungstelegramm an Berchtold und San Giuliano. An die Monarchen zu telegrafieren wurde auf meinen Rat deshalb verzichtet, da in diesem Falle der Text wegen Österreich-Ungarns prononcierterer Haltung nicht hätte gleichlautend sein können. San Giuliano antwortete sofort, was brillanten Eindruck machte, Berchtold erst, nachdem ich den Statthalter von Triest, Fürsten Hohenlohe, aufgefordert hatte, Berchtold zu urgieren. Daß sich Berchtolds Antwort verzögerte, machte natürlich schlechten Eindruck und, um dies auszugleichen, proponierte ich dann Hohenlohe, das Kongreßpräsidium zu einem Dejeuner zu sich zu laden. Mit Berchtolds Erlaubnis und unter Heranziehung des italienischen Konsuls von Triest geschah dies auch. Das Essen war brillant, die Tafel schön mit Blumen dekoriert.

Da die Italo-Albanesen, die am Kongresse zahlreich vertreten waren, sich allerdings nur italienische Reden haltend zu bemerkbar machten, ließ ich mich als alter Freund der Albaner bei der Eröffnung des Kongresses von Faik begrüßen. Dann hatte ich einige Minuten Zeit mir meine Antwort zu überlegen, bestieg hierauf das Podium und hielt eine Stehgreifrede auf albanisch. Mit Ausnahme Generalkonsuls Kral und einiger österreichisch-ungarischer und italienischer Konsuln werden mir viele Mitteleuropäer dies wohl kaum nachgemacht haben. Abgesehen von einem Konflikt zwischen Kutzowallachen und Albanern, bei dem das offiziell sozusagen überhaupt noch nicht geborene Nationalitätchen der Kutzowallachen bereits erbauliche Beweise seines Fanatismus und balkanischen Größenwahnes erbrachte, und einem weiteren Zusammenstoße zwischen dem Präsidenten Faik Bey Konitza und dem mehr gaunerartigen Nikolla Ivanaj, der bloß, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, den Präsidenten fordern wollte, damit aber nicht durchdrang, gab es im Kongreß nur sinnlosen Wortschwall und, als aus dieser Redewüste nichts Kluges herauskam, sah ich mich am Abend des vorletzten Kongreßtages veranlaßt, Faik Bey Konitza beiseite zu rufen und ihm aufmerksam zu machen, daß der Kongreß bisher gar keine Arbeit geleistet hatte, während doch das mindeste, was man von einem politischen Kongreß erwarten müsse, eine Resolution sei. Faik stimmte mir bei, und ich diktierte ihm also eine Resolution, die der Kongreß am folgenden Tag telegrafisch an sämtliche Großmächte zu übermitteln hätte. In einer halben Stunde war die Sache erledigt, und Faik legte am nächsten Tag das Schriftstück dem Kongreß als Resolution vor. Nach einer die Stellung der Kutzowallachen im Kongreß und im zukünftigen Albanien betreffenden Debatte, die Faik dadurch, daß er an die Kutzowallachen sozusagen ein Ultimatum stellte, zugunsten der Albaner erledigte, wurde die Sache angenommen, und so gelangte mein Diktat als Kongreßbeschluß an die Großmächte.

Während des Kongresses erfuhr Cavaliere Mayerhöfer und zwar von Tahir, dem Sohne Ismail Qemalis, daß sich der Montpensierputsch vorbereitet. Er teilte es mir mit, sonst erfuhr es kein Fremder am Kongreß, also nicht einmal Freundlich oder Dungern. Wir beide avisierten Makavetz, dieser den Ballhausplatz. Dort wurden nun alle Gegenmaßnahmen ergriffen. Ghikas Plan, die Thronfrage auf dem Kongreß vorzubringen, war zwar bereits fehlgeschlagen, immerhin war, da Montpensier über eine seeklare Jacht verfügte, noch ein Handstreich zu befürchten. Zwei Tage blieben wir in Triest ohne Nachricht, ob die Kandidatur Montpensiers wegen seiner Verwandtschaft mit der Erzherzogin Maria Dorothea nicht gar etwa in Wien genehm wäre. Die Albaner, unter anderen sogar Faik Bey, begannen nun uns zu fragen, wie sie sich dieser Kandidatur gegenüber zu verhalten hätten. Auf eigene Verantwortung sagte ich: “Feindlich! denn ich glaube nicht, daß Montpensier ein Wiener Kandidat ist.” Endlich kam eine meine Vermutung bestätigende Antwort. Es konnte also gegen Montpensier offen vorgegangen werden. Zufällig gaben die Wiener Abgeordneten dem Kongreß im Palace Hotel ein Bankett, und da sagte ich denn in einer Konversationspause mit lauter Stimme: “Ich höre, Montpensier will König von Albanien werden, und es gibt auch schon gedruckte Proklamationen! Hat zufällig einer der Herren so eine in der Tasche? Sie wissen ja, meine Herren, daß auch ich auf Albanien bezughabende Drucke sammele.” Große Überraschung, große Stille. Doch Fan Noli vergaß sich, zog eine Drucksache aus der Tasche und überreichte sie mir. Montpensiers Geheimnis war verraten. Abends fuhr die Proklamation per Post an Berchtold. Unsere Sorgen waren geringer aber noch nicht verschwunden. Es trat dann, als sich am folgenden Tag im Kongresse plötzlich das Gerücht verbreitete, daß ein Bote der albanischen Provisorischen Regierung aus Vlora in Triest eingetroffen sei, und einige Minuten später ein von der Reise ermüdeter hochgewachsener, aber gebeugter schwerfälliger Greis unter sichtbarer Aufregung in den Saal geleitet wurde, ein geradezu dramatischer Moment ein. Der Ankömmling war der albanische Minister, Kristo Meksi. Er kam geradewegs aus Vlora. Frenetischer Jubel, alle waren wie elektrisiert. Faik wurde leichenblaß, denn er fühlte, das Präsidium hatte jetzt jeden Einfluß auf den Kongreß verloren. Hier präsidierte jetzt die Provisorische Regierung. Er wußte nicht, was für eine Nachricht Meksi mit sich brachte. Proponierte Kristo Meksi infolge irgend einer geheimen Verabredung als Abgesandter der albanischen Regierung von Vlora den Herzog von Montpensier zum Fürsten von Albanien, so war seine Wahl sicher. Ich setzte mich zum Vertreter der österreichischen Regierung, Makavetz, und sagte: “Sie! Wenn Kristo Meksi jetzt die Kandidatur Montpensiers aufstellt, sind wir verloren, denn er wird einstimmig proklamiert.” Makavetz blieb äußerlich ruhig aber jede Faser war gespannt. Er war bereit, es auf einen Skandal ankommen zu lassen und den Kongreß zu schließen. Kristo Meksi beginnt zu reden. Er entbietet dem Albanerkongreß den Gruß der Provisorischen Regierung und teilt den Anwesenden mit, daß die Mitglieder der Regierung alle ganz gesund sind, und dann verläßt er, ohne zu ahnen, welche Entscheidung in seinen Händen gelegen war, unter erneutem, frenetischem Applaus das Podium. Die Wolke war vorüber. Wir erkannten, daß Ismail Qemali von Montpensiers Vorhaben noch nicht unterrichtet war, und nun hieß es, Tahir von Ghika zu trennen. Ein Zufall erleichterte unsere Pläne. Ghika wollte sich das Zahlen von Tahirs Hotelauslagen ersparen. Er wandte sich an andere, und sehr bald kam denn auch ein albanischer Patriot. Ich glaube, es war Mark Kakarriqi oder Koci, der zu mir kam und sagte, Tahir, der Sohn des Präsidenten der albanischen Regierung, sei in Geldnöte geraten. Da er mich als Freund der Albaner zu erkennen angab, fragte mich dieser Patriot, ob ich nicht bereit sei, helfend einzugreifen, um Tahirs Schulden zu bezahlen, denn, wenn dies bekannt würde, würde es auf ganz Albanien ein schlechtes Licht werfen. Tahir brauchte 500 bis 600 Kronen. Er genierte sich jedoch, mich persönlich darum zu bitten. Ich war zur Hilfe sofort bereit und versprach schon am Nachmittag alles prompt zu regeln. Mittags speiste ich mit Tahir und Mayerhöfer und zeigte Tahir, daß er ein Werkzeug, ja eine Geisel in Ghikas Händen sei, durch die man in Vlora seinen Vater, um das Leben seines Sohnes zu retten, zwingen könnte zugunsten Montpensiers von der Provisorischen Regierung zurückzutreten, worüber Tahir naturgemäß erschrak. Er beichtete alles, was er wußte, sagte aber, er habe kein Geld, sich von Ghika los zu machen. Ich versprach, alles zu ordnen, zahlte am Nachmittag Tahirs Hotelrechnung und erlegte auch die bis zum nächsten Tag früh nötige Summe. Später traf ich den die 500-600 Kronen verlangenden albanischen Patrioten und sagte ihm, daß ich Tahirs Schulden bereits gezahlt hatte, daß er sich aber in der Summe geirrt hätte, da diese nicht 500-600 Kronen sondern nur 190 Kronen betragen habe. Auf diese Weise ist ein albanischer Patriot um einen Gewinnst von 300-400 Kronen gekommen. Tahir lud ich auch abends zum Nachtmahl ein und, damit er ferner, da er mit Ghika in demselben Hotel wohnte, auch in der Nacht nicht mehr verhandeln könne, brachte ich ihm einen schweren Rausch bei. So brachte ich ihn taumelnd um Mitternacht in sein Hotel, wo wir im Vestibül Ghika trafen. Dieser durchschaute nun die Situation und erkannte, daß seine Partie, soweit sie Tahir betraf, verloren sei. Auf mein Geheiß sagte ihm Tahir außerdem noch, daß er jetzt nach Wien fahre, wo er bei mir wohnen würde. Hiedurch war jede weitere Korrespondenz zwischen Ghika und Tahir unmöglich geworden. In der Frühe ließ ich Tahirs Gepäck abholen, dann fuhr er, wieder ohne Geld in der Tasche, diesmal also als mein Gefangener, nach Wien, wo ich ihn in einem Hotel unterbrachte. Später löste ich ihm eine Fahrkarte nach Nizza, gab ihm etwas Reisegeld in die Hand und schickte ihn zu seiner Mutter. Damit sich so eine Geschichte nicht noch einmal wiederholte, sandte auch der Ballhausplatz an die Frau Ismail Qemali eine größere Summe, wodurch an ihrer momentanen Geldverlegenheit geholfen wurde. Um Tahirs geistiges Niveau zu charakterisieren, genügt die Angabe, daß er unter Abdul Hamid türkischer Marineoffizier war, denn dies sagt schon alles. Dies war meine Tätigkeit bei dem Albanerkongresse in Triest.

Der Wahrheit zuliebe muß ich aber noch betonen, daß mir meine Auslagen vom Ministerium des Äußeren vergütet wurden. Im Ganzen bin ich viermal von den k.u.k Behörden pekuniär unterstützt worden. Das erste Mal erhielt ich nach der Annexionskrise jene Summe, die ich im Jahre 1909 während der Monate Jänner, Februar und März aus Eigenem zur Agitation in Albanien ausgegeben hatte, zurückerstattet. Das zweite Mal ermöglichte mir das Ministerium Said während des Balkankrieges nach Montenegro und Albanien zu schicken. Das dritte Mal wurden mir aus dem von Ali Arnaut zurückgebrachtem Gelde die Auslagen am Albaner-Kongreß vergütet. Das vierte Mal erhielt ich, da ich am Anfang des Weltkrieges in besonderer diplomatischer Mission in Bukarest verwendet wurde, eine besonders hohe Gage. Alle übrigen Reiseauslagen, Agitationsgelder, Gelder für Informationen etc. zahlte ich aus eigener Tasche. Eine Zeit, wo ich politisierte aber doch sparte, war die, als ich mich als Schafhirte herumtrieb.

Eine recht interessante Episode des Albanerkongresses war, als Pfarrer Pjetro Tushaj dem Herrn Mayerhöfer die Mitteilung machte, daß er und der Erzbischof von Shkodra, Monsignore Sereggi, im Herbste 1912 mit Montenegro gegen die Türken zusammengearbeitet hätten, und mir Mayerhöfer diese von mir längst vermutete Tatsache jetzt mitteilte. Humoristisch war, wie ich dem serbischen Agenten Weis in Verlegenheit brachte. Herr Weis, auf dessen dubiosen Charakter mich Ali Arnaut aufmerksam gemacht hatte, wollte mit mir bekannt werden und, da ich ihn wieder auf diese Weise am besten entlarven konnte, hatte ich auch nichts dagegen. Sowie ich Weis seine Absicht erfuhr, ging ich sofort auf ihn zu, machte eine besonders tiefe Verbeugung, stellte mich Herrn Weis vor, und fragte ihn sehr dienstbeflissen, womit ich ihm dienen könne. Diese Höflichkeit überraschte, wie ich ja erwartet hatte, den alten Herrn, bei dem ich wegen seines Alters und seines Wesens langsam Geistestätigkeit voraussetzte. Er wurde verwirrt, wollte sich schnell vorstellen und sagte: “Jov,” dann sich verbessernd “Johann Weis.” “Sagen Sie,” beruhigte ich ihn, “nur Jovo. Ich sehe, Sie kommen aus Belgrad.” Auf diese Weise gefangen gestand mir Herr Weis in Serbien gelebt zu haben, erklärte mir hierauf allerdings sich gleich fassend jetzt eben wegen eines Grundstückes mit der serbischen Regierung einen Prozeß zu haben, und gab endlich an, als Vertreter einer Waffenfabrik nach Triest gekommen zu sein, um den Albanern rp. ihrem neuen Staate Waffen zu offerieren. Die Ausreden des Herrn Weis waren nicht übel, nur glaubte er, daß ich den Zweck seines Daseins nicht kannte. Dieser war zu beobachten, ob die Albaner nicht von der österreichisch-ungarischen Regierung mit Waffen versehen würden.

In erster Linie erklärte ich dem Herrn Weis, daß gerade sein automatisches Gewehr wegen des großen Munitionskonsums für die Albaner ungeeignet sei, dann fügte ich aber noch hinzu, es sei von seiner Firma nicht eben besonders klug gewesen, gerade ihren Belgrader Vertreter, also jenen Menschen nach Triest zu geschickt zu haben, der die Todfeinde der Albaner, nämlich die Serben, mit Waffen versah, und endlich riet ich Herrn Weis, um weder sich noch seine Firma zu kompromittieren, Triest bald zu verlassen und seine Ware erst später, wenn sich die Animosität zwischen Serben und Albanern etwas gelegt haben würde, den Albanern erneut zu offerieren. Es begreift sich, daß Herr Jovo Weis über diese scheinbar wohlgemeinte Rede, deren Pointe er aber ganz gut verstanden hatte, wenig erbaut war. Er verschwand auch bald vom Schauplatz.

Schon von Triest hatte ich am 3. März Conrad folgendes geschrieben:

“Exzellenz! Von dem geplanten Streich des Herzogs von Montpensier, sich des albanischen Throns zu bemächtigen, werden Sie schon gehört haben. Seine auf albanische gedruckte Biographie habe ich Berchtold heute früh zugeschickt. Für den Fall, daß Sie mich wegen der folgenden Proposition für verrückt halten, kann ich nichts dafür. Doch Anbetracht der Gefahren, die uns infolge unserer untätigen Politik umgeben und unvermutet hervorbrechen können, möchte ich folgenden, wenn auch abenteuerlichen Plan vorlegen.
Angeblich auf meine Kosten kaufe ich zwei kleine, sehr schnelle Lloyddampfer, die mit einigen Geschützen armiert werden, darauf 300 in Zivil gekleidete Soldaten als meine Freiwilligenschaar und lande unter Mitnahme entsprechenden Kriegsmaterials und unter albanischer Flagge nördlich von Durrës. Der andere Dampfer dringt hierauf nach Vlora, - die griechischen Schiffe dürften sich aus Angst vor der ‘Hamidie’ verkrochen haben, womit Montpensier offen rechnet, - um die albanische Regierung zu informieren, die jawohl mit Wien in freundschaftlichen Kontakt ist und die ich als freiwilliger Helfer ohnehin anerkennen werde.
Alles dies müßte während der Zeit inszeniert werden, daß der Ballhausplatz über Montpensier seiner Absicht Zetter und Cordio schreibt und den entrüsteten spielt.
Anbetracht dessen, daß mich die wilden Albaner - also jene, die Gewehre besitzen, - gut kennen, kann mir sogar ein eventuelles Geschrei der albanischen Literaten und Politiker teilweise alles eins sein, was z. B. bei Montpensier nicht der Fall sein darf.
Entschuldigen, Exzellenz, wenn ich Ihnen in aller Eile etwas schreibe, was vielleicht Ihrem geübtem Auge, das die Schwierigkeiten besser beurteilen kann, kindisch erscheint, doch glaube ich, wenn ein Franzose, der nicht einmal albanisch kann, an einen Handstreich denken darf, so kann ich es auch.
Mittwoch werde ich, so ferne Exzellenz gestatten, in dieser Angelegenheit in Wien persönlich vorsprechen, und bleibe bis dahin mit den Zeichen vorzüglicher Hochachtung,
F. Baron Nopcsa”

Franz Baron Nopcsa, ca. 1928.

Von Triest kam ich wieder nach Wien. Bei dieser Gelegenheit jammerte mir Berchtold, als ich die bösen Folgen einer langen Vakanz des eben errichteten albanischen Thrones voraussehend, die Besetzung desselben urgierte, daß er keinen Thronkandidaten finde. Es gab zwar eine große Zahl von Kandidaten. In erster Linie kam damals Graf Urach von Württemberg in Betracht, dann hatten sich ein ägyptischer Prinz, Achmed Fuad, und sogar der Sohn des Marchese Castriota aus Neapel gemeldet.

Franz Baron Nopcsa, ca. 1928.



Franz Baron Nopcsa,
ca. 1928.


Unter solchen Umständen beschloß ich einen Schritt zu unternehmen, der mich allerdings leicht lächerlich machen und meine ganze bisherige albanophile Arbeit in ein schiefes Licht stellen konnte, den ich in Anbetracht der Umstände aber dennoch wagte. Ich teilte Exzellenz Conrad mündlich mit, daß auch ich, falls ich vom Ballhausplatz unterstützt würde, bereit wäre, unter die Zahl der Thronkandidaten zu treten, und erklärte ihm, daß ich hiezu bloß einmal eine größere Summe brauche, um die sogenannten albanischen Patrioten zu kaufen, was, wie mir der Montpensier-Putsch gelehrt hatte, nicht schwer war, um mich von ihnen zum Fürsten proklamieren zu lassen. Einmal regierender europäischer Fürst, sagte ich, würde es mir ein leichtes sein, mir die übrigen notwendigen Geldmittel durch die mir sonst entschieden antipathische Heirat mit einer reichen auf einen Fürstentitel aspirierenden Amerikanerin zu beschaffen. Der Zustimmung der Bewohner des nördlichen Teiles war ich infolge meiner Haltung in den Jahren 1910 und 1911 sicher, und in Wien konnte ja außerdem gehofft werden, daß auch der damals von Berchtold unterstützte Ismail Qemali keine Schwierigkeiten machen würde...

Vielleicht wurde meine Kandidatur in kompetenten Kreisen bloß belächelt. Als ich mich aber einige Wochen später von jeder weiteren Albanien betreffenden Aktion angeekelt zurückzog, meinten viele Eingeweihte, dies geschehe bloß deshalb, weil sich meine hochfliegenden Pläne nicht realisiert hätten, während ich als Ursache das angab, daß Albanien in der Weise, wie es aus der Londoner Konferenz hervorging, eine Totgeburt repräsentiere. Gegen diese verleumderische Unterschiebung, die von meinen Gegnern natürlich weidlich ausgenützt wurde, versuchte ich mich gar nicht zu verteidigen, denn ich wußte, daß die kommenden Ereignisse meine beste Apologie sein würden. Der Niederbruch des albanischen Staatsschiffes im Jahre 1914 zeigte, daß ich 1913 in der Tat recht hatte, mich vom sinkenden Schiffe zu entfernen. Mein einziger ‘Fehler’ war der, daß ich die Ereignisse lange vor meinen Gegnern vorausgesehen hatte. Während die Londoner Konferenz noch tagte, gelangte der Fürst Wied auf den Thron Albaniens.

Um diese Zeit trat auch Prenk Bib Doda auf, der zwischen Wien und Rom hin und her pendelte. Seine den Serben und Montenegrinern freundliche Gesinnung, durch die er die Anerkennung seiner Fürstenansprüche auf Mirdita erhoffte, war mir schon längst kein Geheimnis, hatte er doch schon beim Ausbruch des Balkankrieges mit Montenegro gemeinsame Sache gemacht und dann später im Verein mit Marka Gjoni beim Vormarsch der Serben gegen Lezha sein Gebiet ihren Truppen freiwillig geöffnet. Es überraschte mich nach diesen Antezedensien wenig, als er mich für seinen persönlichen Freund haltend bei einem opulenten Nachtmahle im Hotel Sacher die Mitteilung machte, daß er nicht über Durrës sondern über Belgrad nach Mirdita zurückkehren wollte, ja in seinem Vertrauen so weit ging, mich zu bitten, in dieser Angelegenheit Berchtold zu sondieren.

Bald nach dem Albanerkongreß trat ich, wie schon gesagt, infolge der Festlegung der Londoner Grenze auch aus dem Albanienkomitee aus und zog mich vor jeder politischen Tätigkeit zurück.

 

[Ausschnitt aus: Reisen in den Balkan: Die Lebenserinnerungen des Franz Baron Nopcsa. Eingeleitet, herausgegeben und mit Anhang versehen von Robert Elsie, Peja: Dukagjini 2001, S. 228-296, 299-301.]

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Delegierte des Kongresses von Triest (Foto: Marubbi).