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Robert Elsie

Texte und Dokumente zur albanischen Geschichte

 
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1937
Reimer Schulz
Leichenbegängnis und Totenkult bei den Malisoren






Im Jahre 1937 nahm der deutsche Anthropologe, Dr. Reimer Schulz (gest. 1941), im Auftrag eines "thüringischen Landesamts für Rassewesen” in Weimar an einer deutsch-italienischen Fahrt in die nordalbanischen Alpen teil. Während eines längeren Aufenthalts in Theth (Dukagjin) untersuchte er im Rahmen einer nun in Verruf und Vergessenheit geratenen Rassenwissenschaft Körperformen und physiognomische Merkmale der einheimischen Bevölkerung. Er machte auch über zweihundert Fotos, deren Verbleib heute unbekannt ist. Wie folgend geschildert, nahm Schulz auch an einem Begräbnis teil und machte die hier dargestellten, seltenen Aufnahmen.

Nik Ndou, unser Dragoman, kam früher als gewöhnlich ins Zeltlager. Es war gegen sechs Uhr morgens. Früh schon klang ein langes Rufen durchs Tal. Im Norden hatte es begonnen, lief dann von Hang zu Hang, und erst im Talende verstummte das "albanische Telefon”. So nannten der Österreicher die von Malisoren, den meist katholischen Einwohnern der nordalbanischen Alpen, meisterhaft gehandhabte Weise der Nachrichtenübertragung durch Rufen und Ausnutzen des Echos. Nik hatte die Nachricht gehört und gewohnheitsgemäß an ein bestimmtes Haus weitergerufen. Nun wollte er auch uns unterrichten, darum kam er früher als sonst. Aber er beeilte sich nicht; ein Albaner beeilt sich nie.



Durch Nik erfuhren wir, daß Ujk Vuksani, ein reicher Bauer aus dem nördlichen Ortsteil, in der letzten Nacht gestorben sei und heute beerdigt werde. Nik wollte zur Beerdigung gehen; wir gingen mit.

Eine Beerdigung und Totenfeier bei den Malisoren dauert den ganzen Tag, oftmals bis spät in die Nacht hinein. Viele Vettern des Stammes kommen zusammen, um den Verwandten des Toten Beileid zu bekunden und am Totenschmaus teilzunehmen.

Am späten Vormittag erreichten wir das Sterbehaus. Nik ging mit uns nach dem Haus des Bruders des Toten. Im Hof dieses Hauses wurden für die vielen Gäste Speisen in großen Bottichen bereitet.

In der Haustür stand der Bruder des Toten. Wir begrüßten ihn und seinen Sohn mit "Paçi baftin” d.h. etwa: "Möge der Tote euch das Glück hinterlassen haben!” Man antwortete uns: "Möge der Tote auch euch das Glück hinterlassen haben!” und geleitete uns vom Stall im unteren Stock ins Dachgeschoß, den Wohnraum. Im Stall, auf der Treppe und im oberen Raum standen und hockten die Trauergäste. Im Wohnraum hatte man fünf niedrige runde Tische aufgestellt. Um jeden Tisch saßen zehn Männer auf dem Boden, die Beine unter sich gekreuzt. Man saß, um möglichst vielen Platz zu lassen, nur mit der rechten Seite am Tisch. Als Totenschmaus wurde Maisbrot und Schafskäse gereicht. Einer am Tisch brach das große runde Brot und den Käse. Ein Gefäß mit Wasser macht die Runde. Später wurde der Maisbrei aufgetragen, zu dem es zerlassene Butter als Tunke gab. Auf jeden Tische kam eine große Holzschüssel, aus der gemeinsam gegessen wurde. seinen Löffel hatte jeder selbst mitgebracht. Zum Schluß wurde kos, eine Art Sauermilch gegeben. Nach dem Essen rauchte man Zigaretten, die ein Albaner fast nur beim Essen und Schlafen ausgehen läßt.



Nach dem Essen gingen wir in das Sterbehaus, in dem der Tote aufgebahrt lag. Draußen schon hörten wir die Totenklage der Frauen Sie dauerte auch nach unserem Eintreten an. Die Frauen saßen rings um die Leiche. Eine Frau zu Kopfende fächelte mit einem Farnwedel die Fliegen fort. Der Tote war mit seiner Festtracht bekleidet. Ein rotes, reichlich besticktes Wams, wie es nur noch die Alten besitzen, bekleidete den Oberkörper. Ein reiner, weißer Schal umgab den Kopf und verdeckte das neue wollene Fes. Auf das Wams waren die Orden des Toten, ein türkischer und ein österreichischer, und Filigranketten, ausgezeichnete Arbeit, geheftet. Um den Leib lag der gefüllte Patronengürtel, darunter stak eine Pistole, zur Seite lehnte das Gewehr. Ein langer, bunter Schal war um den Leib gewickelt. Die wollene, weiße Trachtenhose mit schwarzen Streifen und Mustern, prächtig gestickte Strümpfe und albanische Spitzschuhe bekleideten Beine und Füße. Eine Zigarettenspitze mit Zigarette war dem Toten zwischen die Finger gelegt worden. Drei Äpfel, ein Bündel Tabakblätter, eine Tabakdose und eine Flasche raki lagen dem Toten im Arm. Sie sollen an die Freigebigkeit und Gastfreundschaft des Toten erinnern. Am Nachmittag trug man die Leiche auf einer schmalen Bahre zum Friedhof. Zwei Bretter wurden flach an einen Baum gelehnt und der Tote mit allen Gaben daraufgebettet. Sorgfältig ordneten die Frauen aus der Verwandtschaft die Kleidung des Toten, zupften das Kopftuch zurecht und wedelten die Fliegen mit Farnblättern fort. Einige Männer begannen, das Grab zu schaufeln.



Zwölf Männer aber hielten sich abseits. Etwa hundert Meter vom Toten entfernt ordnen sie sich zu zwei Stirnreihen. Der Anführer steht in der Mitte; er beugt die Knie leicht, holt tief Atem; die Totenklage der Sippengenossen beginnt. Lautes Stöhnen: "Mjeri, o, o, vëllathi i êm -, mjeri – o, o eh, eh!” ("Beklagenswerter, oh, mein Bruder!”). Lauter und stürmischer wird der Ruf wiederholt. Gebärden begleiten die Klage: Schlagen an die Brust, Scheuern an den Schläfen. Dann halten die Männer die Nasen zu und stöhnen ihr "eh, eh, eh.”

Die Gruppe nähert sich dem Toten einige Schritte und wiederholt die gleiche Folge der Gebärden und der Klageworte. So sind die Männer langsam bis nahe an den Toten herangekommen. Im Halbkreis stehen sie nun um ihn, noch einmal rufen sie ihre Klage, dann fallen sie auf die Knie, lehnen sich vornüber, stützen sich mit einer Hand auf und stemmen die andere in der Seite: "Mjeri, o, o, o!” Mehrfach und gesteigert wird die Klage wiederholt. Dann kommt der Bruder des Toten. Er legt den klagenden Vettern seine Hand auf den Rücken und bedeutet ihnen, daß es genug sei. Die Vettern beenden ihre Klage und erheben sich. Ernst gehen sie zur Seite, um die Zigarette anzuzünden.



Dann hocken die Frauen eng um die Leiche. Eine junge Frau verhüllt ihre Gesicht mit ihrem Kopftuch und beginnt mit der Totenklage der Frauen. Nach jedem Satz, den sie spricht, fallen die anderen Frauen mit stöhnendem "eh, eh, eh” ein. Die junge Frau beklagt den guten Vater, der nun für immer fortgegangen ist, erzählt aus seinem Leben, berichtet von seiner Familie, seinen Kindern, seinen Tugenden, seiner Gastfreundschaft, von seinem Leid und Tod. Eine halbe Stunde lang etwa dauert die Klage der Frauen, die mit Stöhnen und Schluchzen endet.

Wir kehren heim in unser Zeltlager. Nach um Mitternacht hörten wir das wilde Rufen und Klagen der Männer, das unheimlich durch die Nacht klang. – Dann wurde der Tote in das sorgfältig mit Laub ausgekleidete Grab gepackt, zwei lange Bretter über ihn gelegt und das Grab zugeschaufelt.

Der Totenklage der Malisoren, der vorwiegend dinarischen Bergbewohner der Nordalbanischen Alpen, ist ein ergreifendes Bild der Sippenverbundenheit unter einfachen Bauern und Hirten. Jeder einzelne der Vettern, die da klagen, fühlt sich als Träger einer kultischen Handlung. Ernst und sachlich, aber mit Hingabe und Eifer, doch nie mit Ekstase und Dämonenbesessenheit, steht der Einzelne in der Gemeinschaft der Klagenden. Die Totenklage ist das Form, in der die Sippe ihre Toten ehrt. Träger des Kultes ist nicht ein Männer- oder gar Geheimbund, sondern die Sippe, die in aller Offenheit von ihrem Toten Abschied nimmt.

 

[Reimer Schulz: Leichenbegräbnis und Totenkult bei den Malisoren. in: Atlantis, Länder, Völker, Reisen, Leipzig, Bd. 10 (1938), S. 257-259.]

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