Robert Elsie | AL Art | AL History | AL Language | AL Literature | AL Photography | Contact |

 

Robert Elsie

Texte und Dokumente zur albanischen Geschichte

   
BACK  |  AL History

Fred Brandt im Jahre 1944.



Fred Brandt in 1944.


Fred Brandt im Jahre 1944 (Foto: National Archives, London).



Fred Brandt im Jahre 1944
(Foto: National Archives, London).

Fred Brandt im Jahre 1944 (Foto: National Archives, London).

Datenschutz

1944
Fred Brandt:
Bei den Partisanen in Albanien

Der in Sankt Petersburg geborene und in Lettland aufgewachsene Dr. Fred Hermann Brandt war während des Zweiten Weltkriegs Mitglied der militärischen Abwehr der Wehrmacht. Als Entomologe (Insektenforscher und -sammler) war er 1937-1939 in den Iran gereist, um Schmetterlinge zu sammeln. In dieser Zeit erschienen einige wissenschaftliche Aufsätze von ihm. Um 1939 war Brandt Kommandeur des Bataillons “Brandenburg“ zbV 800. Sein erster Einsatz führte ihn nach Afghanistan, wobei ihm zur Tarnung seine berufliche Tätigkeit als Entomologe nützlich war. Anfang 1944 wurde Fred Brandt und seine Tadschiken von der Abwehr in Belgrad nach Nordalbanien entsandt, um in Nikaj einen Stützpunkt zu errichten. In den Bergen unterhielt er überraschend freundschaftliche Beziehungen zu den dort tätigen Offizieren des britischen Geheimdienstes. Anfang Oktober 1944, nachdem er zu seinem Chef in Peja (Peć) den Kontakt verloren und von einer Verhaftungswelle in Deutschland gegen die Offiziere der Abwehr erfahren hatte, ergab er sich den britischen Offizieren und wurde als Kriegsgefangener nach Süditalien evakuiert. Im Jahre 1957 veröffentlichte die britische Zeitung „Sunday Pictorial“ einen Bericht über ihn: „der schlaue Schmetterling-Oberst – er machte vor, er wolle bloß Schmetterlinge fangen, doch in Wahrheit war er Oberst Brandt, ein feindlicher Meisterspion, der versuchte, ein Todesnetz um die britischen Agenten zu werfen... Diese Spinne war ein Meisteragent der Nazis, einer der unglaublichsten Männer der dunklen Kriegsgeschichte von Spionage und Verrat...“ Im Jahre 1973 veröffentlichte Fred Brandt, der Meisterspion, den folgenden Bericht über seine Tätigkeiten in Albanien.

Das Valbonatal (Foto: Robert Elsie, Juli 2011).

Das Valbonatal (Foto: Robert Elsie, Juli 2011).



Das Valbonatal
(Foto: Robert Elsie, Juli 2011).

Mein Chef in Peć [Peja], Hauptmann d. Abw., erklärte mir, daß er aus Belgrad den Befehl erhalten habe, in den Albanischen Alpen westlich von Djakovica [Gjakova] einen Stützpunkt zu errichten. Dadurch sollte vermieden werden, daß englische Offiziere des Intelligence Service die Albaner mit Waffen und Kriegsmaterial versorgten und sie dazu brächten, unsere Verbindungswege nach dem Süden zu unterbrechen, sowie eine kriegswichtige Chromerzmine zu sprengen.

Diesen Stützpunkt der deutschen Wehrmacht in den Albanischen Alpen sollte ich zusammen mit einigen Tadschiken errichten und halten.

Bis zur felsigen Kette dieses Gebirges waren es von Peć aus ungefähr 75 Kilometer der Stützpunkt selbst mußte aber noch tiefer in das Gebirge hinein gelegt werden, jenseits eines Passes von 1800 m Höhe. Das Vorgelände bis zu den Bergen bestand aus dichtem Wald, der sich 30 km weit vor dem Valbone [Valbona] erstreckte. Erst hinter diesem reißendem Gebirgsfluß erhoben sich die steilen, felsigen Hänge der Albanischen Alpen.

Durch dieses Gebiet führten nur schmale Füßpfade, bestenfalls noch von Tragtieren begehbar. Der Stützpunkt würde also zwei volle Tagesmärsche von Peć entfernt sein, womit schon eines der Hauptprobleme, nämlich das des Nachschubs, auftauchte.

Ich bat meinen Chef, bevor ich mich zu dem Vorhaben aüßern wollte, um die Genehmigung zu einem Erkundungsgang. Er war damit einverstanden.

In den ersten Märztagen 1944 brach ich in Begleitung von sechs Tadschiken und einem Albaner von Gusinje [Gucia] (Montenegro) auf, mit dem Ziel, in den nördlichsten Teil der Albanischen Alpen vorzudringen. Unsere Bewaffnung bestand aus 7 MP, 7 Pistolen, je 6 Handgranaten. Der Albaner war mit einem italienischen Karabiner bewaffnet. Munition hatten wir reichlich.

Wir überquerten zuerst einen 2000 m hohen Paß an der Grenze zwischen Montenegro und Albanien, welcher zu dieser Zeit unter einer sieben Meter hohen Schneeschicht begraben lag. Auf den vereisten Hochflächen des Gebirges fegte ein Schneesturm dahin, der einem den Atem gefrieren ließ. Nach fünfzehnstündigem Marsch trafen wir im schmalen Hochtal von Theti [Theth] ein, wo ich bei einem mir bekannten Albaner gastfreundliche Aufnahme fand. Von dort zog ich fast drei Wochen lang kreuz und quer durch die tief verschneite Gebirgslandschaft, oft ohne Weg und Steg. Bei dieser meiner Wanderung erfuhr ich, daß der Führer der dortigen Partisanen, in Stärke von etwa dreitausend Mann, der Albaner Nik Sokol war. Bei seinem Stabe sollte sich auch ein englischer Offizier befinden. Das Hauptquartier liege im felsigen Teil des Curraj, in Nikaj-Mertur. In den Felsen über diesem Ort hätte Nik Sokol seinen “Adlerhorst“.

Tadschikische Soldaten in Albanien im Jahre 1944.

Tadschikische Soldaten in Albanien im Jahre 1944.



Tadschikische Soldaten in Albanien
im Jahre 1944.

Nun war mir klar, wohin ich meine weiteren Schritte zu lenken hatte: Nach Nikaj-Mertur! Nur dort, bei Nik Sokol, konnte ich feststellen, ob es mir möglich sein würde, den befohlenen Stützpunkt in den Albanischen Alpen zu errichten.

Nach weiteren zwei Tagen beschwerlichen Marsches, - oft mußten wir uns die Pfade selbst in den tiefen Schnee treten -, erreichte ich das Tal von Nikaj. Hoch oben, am jenseitigen Berghang, unter den grauen Felsen des Hekurave, fast an der Baumgrenze, lag das Haus Nik Sokols. Weitere zwei Tage suchte ich nach einem Führer, der mich dort hinauf begleiten sollte, aber keiner der Albaner wagte es, mit einem deutschen Soldaten diesen Gang zu machen und vor den Mächtigen hinzutreten. Schließlich entschloß ich mich, allein zu gehen. Demonstrativ legte ich alle meine Waffen vor der Kirche von Nikaj ab, so daß es alle Bewohner sehen konnten, und machte mich auf den Weg hinauf zu Nik Sokol. Es war schon Abend, als ich aufbrach und die Brücke über den Currajit passierte; als ich die ersten Häuser am jenseitigen Hang erreichte, war es finstere Nacht. Dort endlich gelang es mir, einen alten Albaner als Begleiter zu gewinnen.

Gegen Mitternacht standen wir vor dem Hause Nik Sokols. Wir begehrten Einlaß. Als ich mich auf den Teppich neben dem Kamin hingehockt hatte, erschien Nik Sokols Frau, eine Serbin, und erklärte, daß ihr Mann nicht zu Hause sei. Sie fragte nach meinem Wunsch. Ich wäre in freundlicher Absicht gekommen, sagte ich ihr, und müßte ihren Mann unbedingt sprechen. Nach Mitternacht erschienen zwei Partisanen. Sie würden meine Botschaft nach Nik Sokol überbringen, und ich sollte so lange im Hause auf ihre Rückkehr warten.

Am nächsten Morgen erschienen die beiden Partisanen wieder und forderten mich auf, ihnen zu folgen. Eine Stunde fast dauerte der Abstieg ins Tal, bis wir an ein einsames Gehöft kamen, um welches es von Partisanen nur so wimmelte, alle bis auf die Zähne bewaffnet. Ich wurde ins Gästezimmer geführt, wo Nik Sokol neben dem Kamin saß. An beiden Langseiten des Zimmers hockten etwa ein Dutzend Partisanen, seine Unterführer.

Der Sitte der Skipetaren gemäß erhielt ich als Gast erst den Willkommenstrunk, zwei Tassen starken Türkenkaffee, an dem sich Nik Sokol beteiligte. Dann fragte er nach meinem Begehr. Ich bat, ihn allein sprechen zu können. Ich hätte ihm eine wichtige Mitteilung zu machen, und er könne dann selbst entscheiden, ob er sie seinen Unterführern mitteilen wollte. Mit einer kurzen Handbewegung wurden die Anwesenden aufgefordert, den Raum zu verlassen. Als wir allein waren, erklärte ich Nik Sokol, daß ich auf Befehl der deutschen Heeresleitung in Belgrad hierhergekommen sei mit der Absicht, in Nikaj einen Stützpunkt zu errichten. Ich wollte aber nicht als Feind, sondern als ein Freund nach dort kommen und ich würde ihm auch behilflich sein, soweit dies in meiner Macht stünde. Die Engländer würde ich als seine Gäste betrachten und sie weder angreifen, noch sie von hier zu vertreiben versuchen.

Ich drückte das alles nicht mit so wenigen Worten aus; wir diskutierten über alles ausgiebig, bis wir uns Punkt für Punkt geeinigt hatten. Zum Schluß reichte mir Nik Sokol seine Hand als Friedensbeweis. Dann nahm er mir meine Soldatenmütze vom Kopf und setzte mir sein weißes Albanerkäppi aufs Haupt, es zünftig auf den Hinterkopf schiebend. Bei ihnen in den Bergen sollte ich dieses weiße Käppi tragen, damit alle Albaner sofort erkennen, daß ich ihr Freund sei.

Bevor die Unterführer zurückgerufen wurden, gab ich Nik Sokol noch den Rat, nicht gegen die deutschen Truppen zu kämpfen und sich für die Engländer totschießen zu lassen. Vielmehr sollte er nur “Scheingefechte führen“, ein bißchen hier und ein bißchen dort in der Gegend herumballern und den Engländern dann melden, wie viele deutsche Soldaten getötet, Fahrzeuge vernichtet worden seien usw. Dafür würden sie ihm weitere Waffen und alles, was er sonst noch brauche, abwerfen. Von den Deutschen habe er dann auch keine Vergeltungsangriffe zu befürchten. Nik Sokol sah mich bei diesen Worten erstaunt an und schwieg. Ich konnte merken, daß mein Rat auf fruchtbaren Boden gefallen war!

Saumpfad zum Valbonapass bei 1900 m. (Foto: Robert Elsie, Juli 2011).

Saumpfad zum Valbonapass bei 1900 m. (Foto: Robert Elsie, Juli 2011).



Saumpfad zum Valbonapass bei 1900 m.
(Foto: Robert Elsie, Juli 2011).

Nachdem die Unterführer wieder in den Raum gekommen waren, erklärte ihnen Nik Sokol, daß ich als sein und ihrer aller Freund hier in Nikaj bleiben und mit 6 Soldaten einen Stützpunkt errichten würde, der für alle gemeinsam von Nutzen sein werde. Mit großer Begeisterung wurde dies von den Anwesenden aufgenommen, und so manchen “Bruderkuß“ mit meinen neuen Verbündeten mußte ich nun tauschen. Von meinem Rat aber sagte Nik Sokol seinen Leuten nichts, - er blieb unser Geheimnis. -

Schnell wurde ein Hammel geschlachtet und ein Festschmaus hergerichtet. Erst spät am Abend war ich wieder bei meinen Männern, an der Kirche von Nikaj. Bei mir befanden sich die zwei Partisanen, die mich am Morgen zu Nik Sokol geführt hatten und die er mir nun als ständige Begleiter und Mitstreiter zugewiesen hatte.

Am nächsten Morgen marschierten wir mit ihnen gemeinsam ostwärts, bogen dann nach Süden ab, um am Drin das Gebirge zu umgehen, denn die dortigen Pässe waren noch unter Schneemassen begraben und unpassierbar. Am Abend erreichten wir den Ort Paja, wo wir vom Bairaktar (Fürst), einem Anhänger Nik Sokols, als Freunde schon erwartet wurden! Wieder gab es ein Festmahl, bis tief in die Nacht wurde gegessen und getrunken. Anderntags führte unser Weg wieder nach Norden, entlang den Osthängen des Gebirges, bis zu einer Brücke über den Valbone, der Hochwasser führte und nur dort überquert werden konnte. Abends waren wir dort angelangt. An der Brücke stand ein einsames Haus, in ihm befand sich ein Krämerladen. Als wir uns näherten, wurden wir mit Gewehrfeuer empfangen. Es war schon dunkel, so daß zum Glück keine gezielten Schüsse mehr möglich waren. Erst nach dem Einspruch unserer beiden Partisanen gelang es, daß das Feuer sofort eingestellt wurde und wir freundlich willkommen geheißen wurden, nachdem sie den Anwesenden, - ebenfalls Partisanen - erklärt hatten, daß wir Nik Sokols und somit ihrer aller Freunde seien. Wir verbrachten die Nacht im Hause.

Früh morgens ging es dann über die schwankende Brücke über den Valbone [Valbona], dann weiter durch den tief verschneiten Bergwald von Bytyce [Bytyç], bis zum Ort Dega. Dort hatte sich im Februar ein englischer Stützpunkt befunden. Er war von einer deutschen Truppe aus Kukesi gestürmt und zerstört worden, doch die Offiziere des Intelligence-Service hatten rechtzeitig entkommen können. Jetzt mußte ich also die Enden des Netzes zusammensuchen, welches damals zusammengerollt hier gelegen hatte und welches nun über den ganzen Norden Albaniens ausgebreitet war! Einen Zipfel davon hatte ich schon in der Hand, - in Nikaj! -

In Dega gab es nur Häuserruinen, kein Stückchen Brot und keine Unterkunft war zu erhalten. So mußten wir weiter nach Osten marschieren, durch tiefen, schmelzenden Schnee, über Hochwasser führende Bäche und Rinnsale hinweg. Erst abends erreichten wir wieder bewohnte Gebiete, wo wir bei Freunden Nik Sokols Verpflegung und Quartier bekamen. Tags darauf war ich wieder in Peć. Drei Wochen lang hatte meine Erkundung, mein Spähtruppunternehmen gedauert.

Ich berichtete meinem Chef, was ich gesehen, erlebt und unternommen hatte. Er war mit allem einverstanden. Ich erhielt den Befehl, den Stützpunkt in Nikaj zu errichten, vollkommene Handlungsfreiheit wurde mir zugesichert. Anfang April 1944 bezog ich mit 6 Tadschiken den Stützpunkt in Nikaj, wo Nik Sokol für uns ein Haus geräumt hatte und es mir zur alleinigen Verfügung übergab. 1 MG, 1 leichter Granatwerfer, 7 MP, 7 Pistolen, pro Mann 10 Handgranaten standen uns zur Verfügung.

Am Ostersonntag besuchte ich erst in Begleitung meiner muselmanischen Getreuen die Hl. Messe in der katholischen Kirche zu Nikaj. Dann stiegen wir zum Hause Nik Sokols hinauf, um ihm unseren Osterbesuch abzustatten. Dort traf ich mit Major Neel zusammen, dem Chef des Intelligence-Service in dieser Gegend. Nik Sokol und einige seiner Vertrauten hockten um den niedrigen (kaum 20 cm hohen) Tisch herum, mit dem englischen Major und dessen Dolmetscher, einem italienischen Sergeanten, der fleißend englisch sprach. Wir lehnten unsere Waffen an die Wände, setzten uns zwischen die Anwesenden, - dabei fand ich meinen Platz neben Major Neel. Wir genossen ja beide die Gastfreundschaft im Hause Nik Sokols, was jede Feindseligkeit von vornherein ausschloß. Nach einem freundschaftlichen Händedruck goss Major Neel unsere Rakigläser voll Whisky und wir tranken uns zu. Damit war der Grundstein zu weiterer “Freundschaft“ gelegt.

Einige Tage später traf ich wieder mit Nik Sokol zusammen. Er kam auf meinen Rat zu sprechen, nichts gegen deutsche Truppen zu unternehmen, sondern die Engländer durch Scheingefechte zu täuschen. Er erklärte sich nunmehr damit einverstanden, wenn ich Major Neel davon verständigen würde, daß ich nichts gegen Fallschirmabwürfe in Nikaj und Umgebung einzuwenden hätte, sofern das abgeworfene Material für Nik Sokol bestimmt sei. Ich sagte zu.

Fred Brandt (links), britische Offiziere und tadschikische Söldner im Jahre 1944 (Foto: National Archives, London).


Fred Brandt (links), britische Offiziere und tadschikische Söldner im Jahre 1944 (Foto: National Archives, London).



Fred Brandt (links), britische Offiziere
und tadschikische Söldner 1944
(Foto: National Archives, London).




In der kommenden Nacht wurde ich von “meinen“ beiden Partisanen abgeholt zu einem Treffen mit Major Neel. Ich versicherte ihm, keine Einwendungen zu haben, wenn er Material in Bari anfordern wolle, um es Nik Sokol zu übergeben. Ja, ich würde mit meinen Männern sogar noch behilflich sein, die Fallschirme zu bergen. Wie mir Nik Sokol versichert hatte, war dies insofern ein schwieriges Problem, als die Behälter oft von “Freischärlern“ erbeutet wurden und so verloren gingen, manchmal mehr als die Hälfte.

Schon bei der nächsten Fallschirmlieferung klappte alles vorzüglich, es gab kaum Ausfälle, auch den besonders gekennzeichneten Fallschirm mit Gold und Post für die englischen Offiziere konnten wir bergen. Schließlich ging es so weit, daß ich die Abwurfplätze aussuchte und die Markierungsfeuer vorbereitete, mit welchen den Piloten in der Nacht die Anflugschneise gezeigt wurde.

Das war der Anfang! Später saß ich auch dabei, wenn das Abgeworfene verteilt wurde. Ich hatte auch Freunde außerhalb der Truppe von Nik Sokol, denen ich ebenfalls den Rat gegeben hatte, sich nicht für die Engländer totschießen, aber sich von ihnen versorgen zu lassen. Mit den Albanern, die in Blutrache zu den russischen Legionären in Peć standen, welche ebenfalls meinem Abw. Hauptmann unterstanden, fand ich allerdings keinen Kontakt. Warum es zu dieser Blutrache kam, wäre eine besondere Erzählung, die in diesem Bericht zu weit führen würde.

Mitte Mai 1944 machte mir Major Neel den Vorschlag, ihn zu einem Treffen der Offiziere des Intelligence-Service von Nordalbanien zu begleiten. Ich mußte mich sofort entscheiden, denn am Abend sollte schon aufgebrochen werden. Von meinen Tadschiken nahm ich meine zwei Vertrautesten mit, dazu “meine“ zwei Partisanen. Nik Sokol begleitete uns mit 5 Mann, sowie Major Neel und sein Dolmetscher. Wir waren ein schwer bewaffneter Trupp, als wir aus Nikaj aufbrachen. Nach mehrtägigem Marsch, meist bei Nacht, erreichten wir das Gebiet von Fusha i Lurës, wo uns Führer gestellt wurden, die uns nach Osten begleiteten, über den Schwarzen Drin hinweg, in die dortigen Berge hinein. Dort fanden wir den englischen Stützpunkt in einem einsam stehenden Albanerhaus, das voll war mit Waffen und anderem Material. Auch zwei Funker waren anwesend. Am nächsten Tage erschienen die anderen Teilnehmer des Treffens. Sie waren aufgehalten worden, weil Albaner die Engländer erkannt und das an eine deutsche Dienststelle gemeldet hatten. So erschien plötzlich eine SS-Einheit und begann das Dorf zu durchsuchen, welches aus weit verstreut liegenden Gehöften bestand. Wir hatten unser Haus verlassen, versteckten uns im hochgelegenen Buschwald und beobachteten durch das Fernglas die Aktion. Es war kühl, und der nieselnde Regen hatte uns bald völlig durchnäßt.

Schließlich wurde es Abend. Müde nach der ergebnislosen Suche standen die SS-Männer unten im Tal und sahen zu den letzten noch undurchsuchten Häusern in die Berghänge hinauf, resignierend die Achseln zuckend, und rückten ab! Gleich darauf saßen wir wieder in unserem warmen Asyl. Am nächsten Tage stießen weitere acht englische Offiziere zu uns, ich wurde ihnen von Major Neel vorgestellt und mit Handschlag begrüßt. So versammelte sich hier ein bunt zusammengewürfeltes Häuflein von Menschen: Engländer, Deutsche, Tadschiken und Albaner, die ein gemeinsames Schicksal für kurze Zeit verband. Wir fanden auch schnell eine gemeinsame Verständigung. Ich versprach, Major Neel und seine Männer vor Gefahren zu schützen, insbesondere gegen räuberische Albanerbanden. Dazu sollte ich versuchen, meinen Stützpunkt in Nikaj zu verstärken, - aber das hing von meinem Chef in Peć ab, und auch von Nik Sokol. – Kampfhandlungen unseren deutschen Kameraden gegenüber, sei es auch indirekt, lehnte ich unmißverständlich ab. Die Engländer akzeptierten diesen Standpunkt.

Nach zwei Tagen gingen wir wieder auseinander. Major Neel und Nik Sokol gingen nach Westen, um befreundete Albaner zu treffen. Mich zog es nach Norden, zu meinen Männern. Das Gebiet war uns fremd und von Partisanen besetzt. Der dort stationierte Engländer, ein Major, gab uns mit seinen Männern das Geleit bis nördlich von Bihac [Bytyç]. Über Prizren und Djakovica erreichten wir Peć, wo ich meinem Chef ausführlich berichtete. Er war einverstanden mit meinen Kontakten zur “Konkurrenz“ und wollte alles nach Belgrad melden. Auch wegen Verstärkung meiner Mannschaft fragte er dort an.

Nach einer Woche kam ein Oberstleutnant von der Abw. in Belgrad nach Peć. Ich erstattete ihm Bericht. Er war überzeugt, daß nur auf dem von mir beschrittenen Weg der Auftrag der Heeresgruppe auszuführen sei. Er gab mir weitere Handlungsfreiheit und bewilligte auch weitere 20 Tadschiken für Nikaj. “Die Engländer haben vollkommen recht“, sagte er, “mit 6 Mann kann man keinen Stützpunkt halten!“ - Seine letzten Worte waren: “Machen Sie nur so weiter!“ -

Ende Juni erschien bei Major Neel ein weiterer Offizier des IS, ein Leutnant Hibberdine, der auch gut Deutsch sprach, sowie ein Funker, so daß eine direkte Verbindung nach Bari bestand. Auf Wunsch der Engländer und im Einverständnis mit meinem Chef bezog ich Ende Juli ein gemeinsames Waldlager mit den Engländern, in dem sie sich meinem Schutz unterstellten. In der Nähe lagerte Nik Sokol mit einem Teil seiner Partisanen. Sie wurden von den Engländern verpflegt. Ich hatte unsere Verpflegung bis dahin jeweils von Peć in mühsamen Märschen mit Tragtieren holen lassen, aber nun war der Weg dorthin durch fremde Partisanen versperrt. So erhielten auch wir von nun an von den Engländern unsere Verpflegung! - Dessen nicht genug, übergab mir Major Neel noch weitere 3 MG, 2 Granatwerfer und 25 MP, dazu große Mengen von Munition, um für eine längere Kampfzeit gegen Banden und kommunistische Partisanen gerüstet zu sein. Wir blieben den ganzen August in diesem Lager. Dann erhielt Major Neel den Befehl, in die Gegend von Skutari [Shkodra] auszuweichen. Ich erklärte mich bereit, ihn mit meinen Männern zu begleiten. “So ruhig und sicher habe ich in Albanien noch nie gelebt, wie unter Ihrem Schutz!“, sagte er. Dafür mußte er meine Kontrolle über seine Aktivität in Kauf nehmen, und es konnte nichts gegen deutsche Truppen unternommen werden, solange ich mit Major Neel zusammen war. Auch Nik Sokol mit seinen Leuten schloß sich unserem Marsch an.

Anfang September schlugen wir unser Lager auf 1600 m Höhe in den felsigen Bergen des Shillaku-Gebirges [Shllaku] nördlich von Skutari auf. Einige Kilometer tiefer lag eine langgezogene Waldwiese, die sich gut als Abwurfplatz eignete. Um diese Zeit erhielt Major Neel den Befehl, ein deutsches Treibstofflager zu vernichten und eine Brücke über den Drin zu sprengen. Diesen Auftrag konnte er nur mit Hilfe der Albaner ausführen. Diese aber hatte ich vor die Alternative gestellt, meine Freundschaft, oder die der Engländer weiter zu behalten – sie entschieden sich für mich! Auch meine Tadschiken weigerten sich, an Kampfhandlungen gegen deutsche Truppen teilzunehmen, obwohl Leutnant Hibberdine mit allen Mitteln versuchte, sie dafür zu gewinnen.

Immer öfter erschienen nun einflußreiche nationale Partisanenführer in der Nähe unseres Lagerplatzes, auf jener Waldwiese, auf der sich auch eine schöne Wasserquelle befand, - eine Seltenheit in dieser öden Gegend. Fast täglich war auch ich dort, ich galt nicht mehr als Schützling Nik Sokols, sondern als der Kommandant des englischen Lagers, und als “Colonel“, für den mich selbst die Engländer hielten! - Ich würde als Gleicher unter Gleichen behandelt. Bald verfügte ich über einen gewissen “Anhang“ unter den Bairaktaren (Fürsten). Selbst Nik Sokol rühmte sich, mein Freund zu sein! –

In einem waren sich alle Skipetaren einig: es sollte eine Nationale Nordarmee aufgestellt werden, - gegen die sich im Süden formierenden kommunistischen Partisanen. Aber woher Waffen und Ausrüstung für eine solche Truppe nehmen! Ich erbot mich, bei den Engländern in diesem Sinne vorzufühlen. Schon lange fühlte ich mich diesen Menschen, den Skipetaren, verbunden und teilte ihre Sorgen mit ihnen.

Am Abend, beim Essen, sprach ich mit Major Neel darüber und erläuterte ihm das Ziel: nach dem Rückzug der deutschen Truppen eine nationale albanische Regierung zu bilden und zu unterstützen. Er war von dieser Idee begeistert und versprach, sich sofort mit Bari deswegen in Verbindung zu setzen.

Nach zwei Tagen kam die Antwort von dort: vollkommene Zustimmung. Die Nordalbaner würden mit allem versorgt werden, auch mit Waffen, und wir sollten jetzt schon mitteilen, was am dringendsten gebraucht werde. Am nächsten Morgen konnte ich auf der Waldwiese die frohe Botschaft den Albanern verkünden. Die Begeisterung war groß!

Als es an die Wahl eines Führers des nationalen Widerstandes ging, fiel diese auf mich. Ich war für alle Parteien annehmbar und neutral. Bei den Katholiken galt ich als einer der ihren. Bei den Moslems galt ich als Anhänger Allahs, und schließlich war ich ja ein Freund der Engländer, ja ihr Kommandant, und dazu noch “Colonel“!

In diesen Tagen wurde ich von Albanern gewarnt; der SD hätte eine Prämie auf meinen Kopf ausgesetzt, ob lebend oder tot! Ich wunderte mich nicht, täglich hörte ich doch die Meldungen im Rundfunk und erfuhr auch von der Verhaftungswelle gegen die Offiziere der Abwehr. Wenn ich auch nur ein kleiner Obergefreiter war, so saß ich doch schon seit Monaten bei den Engländern, - aber was hatte ich für einen Beweis dafür in meinen Händen, daß ich auf Befehl da war! Nichts hatte ich, und wo mein Chef sich jetzt befand, nachdem Peć geräumt war, konnte ich nicht einmal ahnen, - noch weniger, ob sich der Oberstleutnant in Belgrad an mich erinnern wollte! –

Bei den Skipetaren herrschte über eine Woche freudige Hochstimmung. Aus allen Teilen des Landes trafen Abordnungen ein, die mit uns zusammen kämpfen wollten. Schon begannen sich die Streitkräfte zu formieren. Nik Sokol drang bereits mit seinen Leuten in die Vororte der Stadt Skutari ein. Insgesamt standen jetzt über 2000 Mann auf unserer Seite. Alle warteten auf den Abwurf des englischen Materials. Aber es kam nichts, außer einem Funkspruch aus Bari mit der Aufforderung an Major Neel, zusammen mit den albanischen Führern und mit mir an die Küste bei Alessio [Lezha] zu gehen, um dort von einem englischen Kriegsschiff aufgenommen und nach Bari gebracht zu werden, zu einer wichtigen Besprechung. Uns wurde freies Geleit garantiert. Wir waren schon beim Abmarsch, da kam ein zweiter Funkspruch: wir sollten nicht zur Küste marschieren, sondern nach Montenegro in die Gegend von Berane, wo sich ein englischer Feldflugplatz befand. Von dort würden wir nach Italien geflogen. Alle Albaner weigerten sich natürlich nach Montenegro, zu den Serben, ihren alten Totfeinden, zu gehen. So marschierten nur Major Neel, sein italienischer Dolmetscher, sowie ich mit 3 meiner 26 Tadschiken nach Norden. Nach tagelangen Märschen erreichten wir Gusinje. Der Flugplatz bei Berane war inzwischen von den Engländern aufgegeben worden, wegen der dort auf dem Rückzug durchziehenden deutschen Truppen; die Lage in diesem Gebiet war so verworren, daß wir beschlossen in unser Lager bei Skutari zurückzukehren.

Dort erreichte uns die Nachricht aus Bari, daß alle gemachten Versprechungen an die Albaner zurückgezogen wurden. Sie würden von den Engländern weder Waffen noch Verpflegung bekommen. Es war aus! Major Neel erhielt den Befehl, sofort das Lager bei Skutari zu verlassen und sich an die Adriaküste zu begeben. Mir und meinen Tadschiken wurde freigestellt, ihn zu begleiten. Sollten wir mitkommen, würde uns der Status von Kriegsgefangenen zugesichert. Es war Anfang Oktober 1944.

Ein letztes Mal stieg ich zur Waldwiese hinab, um meinen albanischen Freunden mitzuteilen, was ich eben gehört hatte. Es war ein schwerer Gang für mich, und es wurde eine bittere Stunde des Abschieds, nachdem nun unsere gemeinsamen Hoffnungen zusammengebrochen waren. Ein Abschied für immer! Denn meine Entscheidung konnte nicht anders ausfallen, als das Angebot der Engländer anzunehmen. Ich konnte doch nicht allein, als hilfloser Mann, in diesem Land bleiben, das bald von schwersten inneren Kämpfen erschüttert würde.

Nach einigen Tagen erreichten wir die Küste südlich der Drin-Mündung, in einem unzugänglichen Sumpf- und Lagunengebiet. Dort wurden wir unter schwierigen nautischen Verhältnissen von zwei kleinen Kriegsschiffen an Bord genommen. Mit uns kamen noch zwei nationale Führer der Albaner, um einen letzten Versuch zu machen, die Engländer umzustimmen. Aber auch ihre Mission scheiterte. Es blieb dabei: alle Engländer verließen das Land, die Albaner wurden sich selbst überlassen. – Ich stand an der Reling und sah im Osten die Albaneralpen im Dunst verschwinden, wo ich acht Monate lang als deutscher Soldat, als “Brandenburger“, bei den Partisanen gelebt und meinen Auftrag ausgeführt hatte, den ich von meinem Chef erhielt.

 

[Fred Brandt: Bei den Partisanen in Albanien, aus der Zeitschrift Die Nachhut: Informationsorgan für Angehörige der ehemaligen militärischen Abwehr, München,Bd. 23-24 (1973), S. 21-30.]

TOP

Fred Brandt im Jahre 1944.