1956
Ekrem Bey Vlora:
Beiträge zur Geschichte der Türkenherrschaft
in Albanien
Im Nachlass des Ekrem bey Vlora (1885-1964)
befand sich ein gewaltiges und umfassendes Werk
mit dem Titel „Beiträge zur Geschichte der Türken-
herrschaft in Albanien: eine historische Skizze“, daß
bisher unveröffentlicht geblieben ist. Dieses wichtige
Werk albanischer Geschichtsschreibung wird hier in
seiner ursprünglichen Form – 1.200 getippte Seiten
mit handschriftlichen Notizen und handgezeich-
neten Landkarten – integral zur Verfügung gestellt.
Wer war Ekrem bey Vlora?
Ekrem bey Vlora wurde als Sohn einer reichen
Großgrundbesitzerfamilie in der südalbanischen
Hafenstadt Vlora geboren. Er besuchte 1899-1903 das
Theresianum in Wien, und studierte 1904 Jura und
Religionswissenschaft in Konstantinopel. In den
folgenden Jahren war Vlora in der osmanischen
Verwaltung tätig. Im Jahre 1907 verbrachte er drei
Monate an der osmanischen Botschaft in Sankt Petersburg. Nach ausgedehnten Reisen durch
Europa und den Nahen Osten kehrte er nach Albanien zurück und unterstützte den Vetter seines
Vaters, Ismail Qemal bey Vlora (1844-1919), in der albanischen Unabhängigkeitsbewegung, die im
November 1912 ihr Ziel erreichen sollte. In demselben Jahr wurde Vlora stellvertretender
Vorsitzender des Senats. Während des Ersten Weltkriegs war er in italienischer Haft, wurde aber
später zu einem Fürsprecher engerer Beziehungen zwischen Italien und Albanien. Im Jahre 1924
war Vlora als Vertreter des konservativen Flügels Mitglied des albanischen Parlaments und wurde
für kurze Zeit 1925 auch Senator. Seine Beziehungen zum Diktator Ahmet Zogu (1895-1961) waren
stets von Spannung gekennzeichnet, obgleich er letzterem auf verschiedenen diplomatischen
Missionen im Ausland diente. Besonders intensiv waren seine Verbindungen zu Deutschland und
Österreich, unter anderem wohl auch wegen seiner engen und langjährigen Freundschaft mit der
bayrischen Baronin, Marie Amelie, Freiin von Godin (1882-1956), mit der er den „Kanun des Lekë
Dukagjini“ ins Deutsche übersetzte.
Im Gegensatz zu vielen Albanern begrüßte Ekrem bey Vlora die italienische Besetzung seines
Landes im April 1939 und pflegte enge Beziehungen zu den italienischen Faschisten. Im Jahre 1942
machte ihn der albanische Ministerpräsident Mustafa Kruja (1887-1958) zum Staatsminister für
Kosovo, das während des Zweiten Weltkrieges mit Albanien vereinigt wurde. Im Sommer 1944
wurde er Außenminister und Justizminister, kurz bevor er vor den kommunistischen Partisanen die
Flucht nach Italien ergreifen und ein neues Leben im Exil beginnen musste.
Als Schriftsteller und Publizist ist Ekrem bey Vlora unter Historikern und Spezialisten für die
Monographie “Aus Berat und vom Tomor: Tagebuchblätter”, Sarajevo 1911, und insbesondere für seine
ebenfalls deutsch verfasste “Lebenserinnerungen”, München 1968 & 1973, in Erinnerung geblieben.
Letzteres Werk in zwei Bändern bietet eine faszinierende Einsicht in die Welt eines albanischen
Adligen kurz vor dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches.
“Beiträge zur Geschichte der Türkenherrschaft in Albanien”
Ekrem bey Vloras Hauptwerk von nicht weniger als 1.200 Seiten wurde nie veröffentlicht. Er hatte
diese “Beiträge zur Geschichte der Türkenherrschaft in Albanien” in Rom in den Jahren 1955-1956 in
Zusammenarbeit mit der Baronin von Godin angefangen. Beide waren über siebzig, als sie das
Projekt in Angriff nahmen. Am 22. Februar 1956 aber noch während der Arbeit starb die Baronin in
München, ein in mehreren Hinsichten herber Verlust für den Verfasser. Weitere 910 Seiten verfasste
er allein.
Leider fand Vlora aus verschiedenen Gründen keinen Verlag für sein großes Werk. Der Hauptgrund
dürfte wohl die Tatsache sein, daß die vollendete Fassung mit seinen zahlreichen handschriftlichen
Notizen nicht optimal geordnet und längst nicht druckreif war. Zu einer letzten Kontrolle kam der
alte Mann nicht. Trotz seiner nicht zu verleugnenden Schwächen stellt das Werk auf seiner Art doch
einen wichtigen Beitrag zur albanischen Geschichtsschreibung dar, unter anderem angesichts der
Tatsache, daß es für die Türkenzeit in Albanien, immerhin 500 Jahre, noch kaum andere zuver-
lässige Werke gibt. Schwerlich findet man heutzutage einen Historiker, der die Albanologie mit der
Türkologie zu verbinden vermag, der sowohl albanisch wie auch osmanisch-türkisch lesen kann.
Armin Hetzer (Universität Bremen), der sich in den Jahren 1984-1985 mit dem Werk eingehend
beschäftigte, kam in Zusammenhang mit dem langen Werk zu den folgenden, nicht immer
wohlwollend doch im Großen und im Ganzen treffenden Schlüssen:
„Tatsächlich bleibt von seinem Wirken nur der Eindruck eines melancholischen Bonvivant, der seine
Güter verwaltete und beim Volk den Ruf eines Gelehrten genoß. Die Fachgelehrten hingegen sehen in
ihm einen lebhaften Causeur, der seinen Dilettantismus aber nicht verbergen kann, sobald er sich
schriftlich äußert. […]
Um die Mitte der fünfziger Jahre verfaßte Ekrem Bey seine Schrift über die Türkenherrschaft, von der er
wollte, daß sie unter seinem und dem Namen der Amelie Freiin von Godin erscheinen würde. Tatsäch-
lich aber kann der Anteil dieser alten Dame, die um 1912 als Journalistin nach Albanien gekommen war
und mit den Vloras ebenso wie mit anderen damals führenden Familien Bekanntschaft geschlossen hatte,
nicht erheblich gewesen sein. Auf einem hinter S. 289 eingeklebten handschriftlichen Blatt zeigt nämlich
der Verfasser an, daß Amelie am 22. Februar 1956 in München verstorben sei. Und auf S. 290 schrieb
Ekrem Bey eigenhändig: “Der folgende Teil dieser Skizze ist von Ekrem Bey Vlora allein verfaßt worden -
15.3.1956”. Mit anderen Worten: vom 7. Kapitel an müssen wir ohnedies davon ausgehen, daß Amelie
nicht mehr zur Verfügung stand. […] Nach Auskunft von Ekrem Beys Nichte jedoch bestand die
Arbeitsteilung vornehmlich darin, daß Ekrem Bey auf Deutsch diktierte und Amelie auf der Maschine
schrieb. […]
Tatsächlich erschien das Werk in der Form, wie sie uns als Typoskript vorliegt, nie im Druck. Das
Münchner Südostinstitut erkannte nämlich sofort, daß sich Ekrem Bey hier auf schlüpfrigem Terrain
bewegte und daß der gattungsmäßige Charakter der Schrift verändert werden müsse, damit sie als
Institutsveröffentlichung vertretbar wäre. So veranlaßte Felix von Schroeder den Autor, genau das zu
tun, was er eigentlich nicht hatte tun wollen: seine Memoiren zu schreiben. Diese Entscheidung muß als
weise angesehen werden, denn dadurch haben wir nun die beiden 1968 und 1973 postum im Verlag
Oldenbourg erschienenen Bände „Lebenserinnerungen“ vorliegen, die wirklich als kostbare Hinter-
lassenschaft eines Intimkenners der alten Türkei gelten können. Vielleicht wird man sie sogar später
einmal, unter veränderten politischen Verhältnissen, in den Kanon des literarisch-kulturellen Erbes des
albanischen Volkes aufnehmen, denn Ekrem Bey entfaltet darin seine ganze Meisterschaft im Schildern
von Vorgängen und Zuständen, für die er als Zeitzeuge in Frage kommt. […]
Die Nachlaßschrift, mit der wir uns befassen, ist als Durchschlag auf 1082 paginierten Seiten erhalten.
Tatsächlich sind es etwa 50 Blätter mehr, weil Ekrem Bey nach und nach Zusätze und Streichungen
vornahm, handschriftliche Beigaben einklebte usw. Die wahrscheinlich beim Münchner Südostinstitut
deponierte Urschrift des Typoskripts weicht also sicher in Einzelheiten von den beiden gebundenen
Bänden ab, die der Herausgeber im August 1984 auf der Heimreise aus Ungarn bei Ekrem Beys
Schwägerin Advije Hanëm abholte. […]
Im November 1944 mußte Ekrem Bey Hals über Kopf Albanien verlassen, wobei seine Bibliothek, soweit
sie in Holzkisten verpackt in Tirana bereit stand, zurückbleiben mußte. Die Deutschen hatten offenbar
keine Lust, sich auf ihrem Rückzug mit unnötigem Ballast abzuplagen. Auf diese Weise ist es selbst-
verständlich, daß später, im Exil, Ekrem Bey vieles aus dem Gedächtnis “zitieren” mußte, was ihm nicht
mehr zugänglich war. […] Genau dies ist der Schwachpunkt aller seiner Nachlaßschriften. […]
Die Herausgabe der „Lebenserinnerungen“ durch Felix von Schroeder ersetzt nicht die eingehende
Beschäftigung mit den “Beiträgen zur Geschichte der Türkenherrschaft in Albanien”; es wäre vielmehr
wünschenswert, daß man auch diese Nachlaßschrift in würdiger Form für die Öffentlichkeit zugänglich
macht. Eine integrale Edition verbietet sich aber aus mehreren Gründen. […]“ (1)
Nach reichlicher Überlegung habe ich mich entschlossen, die “Beiträge zur Geschichte der Türken-
herrschaft in Albanien” dem interessierten Publikum in der Form anzubieten, in der der Verfasser
uns das Werk hinterlassen hat. Es soll jeder für sich entscheiden, was daraus zu entnehmen ist. In
diesem Zusammenhang möchte ich mir bei Tanush und Afife Frashëri (Villach/Österreich) und bei
Bejtullah Destani (Rom/Italien) bedanken, ohne deren Unterstützung und Geduld das große Werk
nie zu Tage gekommen wäre.
Ekrem bey Vlora: Geschichte der Türkenherrschaft in Albanien | Teil 1
PDF 12 MB
Ekrem bey Vlora: Geschichte der Türkenherrschaft in Albanien | Teil 2
PDF 8,6 MB
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort
1
Kapitel I
Der Lebensraum der Albaner und deren ethnische Verhältnisse
im 14. und 15. Jahrhundert
23
Kapitel II
Die albanischen Herren der vortürkischen Periode
40
a)
Das Despotat von Janina
44
b)
Die Zenebischi
53
c)
Die Herrschaft von Valona
55
d)
Die Muzhaka
61
e)
Die Gropa
67
f)
Die Topia
68
g)
Die Dukagjin
73
h)
Die Balscha
86
i)
Die Matranga
97
j)
Die Zacharia, die Jonima, die Span, die Pulati, die Duschmani,
die Kastoria, die Scura, die Schrezi, die Nuzhani, die Margariti
97
Kapitel III
Die Türkeneinfälle
100
Kapitel IV
Die Besitzergreifung Albaniens durch die Türken; Kämpfe des Georg Araniti
und Skanderbeys (Kastriota)
122
a)
Die Araniti
127
b)
Skanderbey
137
Kapitel V
Die Militärverwaltung der ersten türkischen Zeit in Albanien
207
Kapitel VI
Endgültige Einrichtung der türkischen militärischen und zivilen Verwaltung
230
Kapitel VII
Ereignisse in Albanien bis zu zweiten Belagerung Wiens
290
Kapitel VIII
Zeitbilder aus den Jahren 1650-1750
360
Kapitel IX
Beginn des griechischen Freiheitskampfes und die gleichzeitigen Ereignisse
in Albanien
437
Kapitel X
Die Zeit des Verfalls der Zentralgewalt
463
Kapitel XI
Bilder aus der Zeit vom Tode Ali Pascha Tepelenis bis zum Tanzimat
570
Kapitel XII
Vom Tanzimat zur Unabhängigkeitsbewegung
669
Kapitel XIII
Ackerbau, Viehzucht und Bodenverteilung: der Grundbesitz in Albanien
766
Kapitel XIV
Ein Wort über Kultur und Lebensform, Künste und Literatur der Albaner
während der Türkenherrschaft
846
Kapitel XV
Die Jungtürkische Bewegung und ihr Einfluss auf Albanien
888
Kapitel XVI
Der Zusammenbruch: von Balkankrieg zur Selbständigkeit Albaniens
1014
& 10 Karten.
(1) Ausschnitte aus Armin Hetzer: Ekrem bey Vlora - Die Eroberung Albaniens durch die
osmanischen Türken. Ein Auszug aus der unveröffentlichten Nachlaßschrift ‘Beiträge zur
Geschichte der Türkenherrschaft in Albanien‘ (Rom 1955/6). Bearbeitet und herausgegeben von
Armin Hetzer. in: Balkan-Archiv, Neue Folge, Hamburg, 10 (1985). S. 301 311.
Ekrem bey Vlora (1885-1964)